Anthroposophische Meditation -
Erfahrungsbericht von Agnes Hardorp, Kursleiterin

Die Einführungskurse in die anthroposophische Meditation, die Thomas Mayer und ich im Frühjahr und Sommer diesen Jahres an verschiedenen Tagungshäusern und Zweigen der Anthroposophischen Gesellschaft gegeben haben, erfüllten uns überall mit reichen Erlebnissen. Viele Wochenenden konnten wir im voraus "vorfühlen", ein kontinuierlicher Strom zog sich durch alle hindurch. Es war uns vorher nicht klar, daß das gemeinsame Erüben der Meditation so wunderbare Auswirkungen auf den sozialen Prozess hat. Immer gingen die Menschen am Sonntagnachmittag voller harmonischer Stimmung auseinander, dankbar, sich gegenseitig kennen gelernt haben zu dürfen. Es ist als wenn das gemeinsame Streben zum Geiste hin und das Bemühen, das Bewusstsein zu erhöhen, die Ecken und Kanten zwischen den Menschen glättet und viele Kommunikationsprobleme einfach wegfallen. Es braucht weiter nichts außer dieser Ausrichtung nach oben. Energie, die benötigt wird, um Gemeinschaftsprozesse in Gang zu bringen, wird wie entbunden, und Gemeinschaft kann auf einer ganz anderen Ebene stattfinden, auf einer viel spannenderen Ebene als wenn man ewig im diskursiven Gespräch bleibt. Etwas davon haben wohl die meisten Menschen an den Wochenenden erlebt. Hat es etwas mit Beuys' Wärmeplastik zu tun?

Viele waren erstaunt, wie lang sie doch einen Konzentrationsbogen halten konnten - ein, zwei Stunden, unglaublich! So etwas hatten sie nicht für möglich gehalten. Einige waren überfordert von unserem Stil, eine Übung an die nächste zu reihen, aber fast alle fanden, dass die Übungen sich organisch aufbauten und über das Wochenende steigerten. So gab es doch vielen einen eindeutigen Ruck "in die Puschen" zu kommen bezüglich der Meditation. Natürlich ist es schwer, dieses Niveau alleine zuhause aufrecht zu erhalten, aber es einmal erlebt zu haben, kann einem schon den Ansporn geben, es wieder erreichen zu wollen. Um diesen Effekt ging es uns und er wurde im Allgemeinen erreicht. Wir, Thomas Mayer und ich, hatten auch immer nach einem Wochenende die Empfindung, dass viel mehr Zeit als nur drei Tage vergangen waren. Intensiv erlebte Zeit verändert das ganze Lebensgefühl, das ist ja der Anreiz für Meditation überhaupt. Einige hatten auch das Erlebnis, dass man mit weniger Essen und Schlaf nicht nur auskommen kann, sondern sich dabei wacher und energiegeladener fühlt.

Die Meditationsübungen waren umrahmt mit der Alexander-Technik, um einen spürbareren Bezug zum eigenen Ätherleib - und den Übungen draußen in der Natur, um einen deutlicheren Bezug zu den Elementarwesen zu gewinnen. Diese Ergänzungen in beide Richtungen kamen bei den meisten Menschen gut an und verstärkten die Meditationsarbeit.

Zusammen zu meditieren ist gegenseitig sehr unterstützend. Es baut sich eine fast greifbare Kraft im Raum auf und trotzdem ist man ganz allein dabei und mehr denn je auf sich selbst gestellt. Beide Pole wurden auch hier verstärkt von den Teilnehmern wahrgenommen. Für viele trifft der Satz zu: "Du schaffst es nur allein, aber allein schaffst du es nicht."

Für uns Kursleiter, weil wir den Vergleich nun auch so klar hatten, waren die Wochenenden an Tagungshäusern in der Natur, wo die Teilnehmer auch übernacht und bei den Mahlzeiten zusammen waren, noch prägnanter. Es macht schon Sinn, einen Kraftort für die Vertiefung aufzusuchen und sich etwas aus dem Alltag zu entfernen. Man ist dann freier, kommt tiefer hinein und auch ist der soziale Austausch dann noch intensiver. Für viele war es einfach erleichternd, andere ähnlich strebende Menschen kennen zu lernen, um sich eventuell später mit ihnen verabreden zu können. Während des Austausches nach einer Meditation hatte man öfters das Gefühl, jemand sagte etwas nur für einen anderen Teilnehmer im Raum, für den es wichtig war, dies zu hören.

Agnes Hardorp, Kempten, im Juli 2005

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