Gehört Meditation in die Oberstufe?

Artikel von Agnes Hardorp für die Zeitschrift Erziehungskunst, Heft 3 2006 (http://www.erziehungskunst.de)

Seit über einem Jahr bieten wir regelmäßig Kurse zur anthroposophischen Meditation für Erwachsene in ganz Deutschland an. Wir wurden nun gefragt, ob wir uns so etwas auch an der Waldorfschule vorstellen können, im Rahmen der Projekttage der 12. Klasse oder als Epoche.

Beides können wir uns gut vorstellen. Es wäre schön, wenn die Schüler es freiwillig wählen könnten, wie bei den Projekttagen, allerdings schade, es konkurrierend mit all den anderen verlockenden Angeboten machen zu müssen. Die Frühmorgen-Zeit der Epoche ist auch besser, da die Konzentrationsfähigkeit zu dieser Stunde noch stärker ist. Insofern ist eine Epochenzeit von zwei Wochen mit zwei Stunden am Vormittag am sinnvollsten.

Zunächst wäre mit den Jugendlichen zu besprechen, warum man meditiert, was man sich darunter vorstellt und was man sich dabei erwünscht. Meditation wirkt tief. Sie ist eine direkte Auseinandersetzung mit sich selbst, ein Eintauchen in die seelisch-geistigen Innenwelten. Jeder Jugendliche steht vor der Frage nach sich selbst. Meditation macht auf einzigartige Weise erlebbar, daß Gedanken und Gefühle reale Kräfte sind. Für die Körperpflege sind Duschen, Zähneputzen, Sport und weiteres nötig. Die Meditation ist ein Mittel der Seelenpflege und wirkt vorbeugend gegen Erkrankungen aller Art. Man lernt sein eigener Therapeut zu sein. Es ist ja oft die Sehnsucht nach tieferen geistigen Erlebnissen, welche die Jugendlichen zu Drogen oder zum "Aussteigen" treibt.

Das Wichtigste sind die Erfahrungen, die man selbst macht. Deshalb besteht die Epoche aus vielen praktischen Übungen. Um die eigenen Erlebnisse greifen zu können, geben wir dem Erfahrungsaustausch viel Raum. Untereinander lernt man am meisten.

Zuerst wäre es wichtig, Meditationsarten aus östlichen und anderen Traditionen zu besprechen. Dann würden wir erläutern, warum wir auf westliche Art meditieren, d.h. immer von einem Gegenstand der Meditation ausgehen, nicht vom Atem oder Mantren oder Bilderreisen, bevor wir das Bewußtsein leer machen. Es geht immer um die Steigerung der Konzentration und die Erweiterung des Wachbewußtseins. Unter "Anthroposophischer Meditation" verstehen wir, alles aus der wachen Ichkraft heraus anzugehen. Es geht hier mehr um die Art der Meditation als um die Inhalte.

Dann würden wir mit Konzentrationsübungen beginnen - erst mit Objekten, natur- und menschengemachten, dann mit kurzen Sätzen. Diese Übungen sind hygienisch und sogar ganz praktisch nützlich als Konzentrationshilfen, wenn es um den normalen Stoff geht, den es an der Schule zu lernen gilt. Das Abiturjahr kann unter Umständen dadurch viel ruhiger und "ökonomischer" verlaufen, aber auch praktischen und künstlerischen Berufen wird dadurch eine einzigartige Hilfe gegeben. Es ist innig verbunden mit der Frage: Wie lerne ich am Besten ohne Ablenkungen? Was kann ich tun, wenn ich gedanklich abgelenkt bin? Dies ist ja überhaupt das zentrale Thema der Pädagogik. Wie komme ich in einen Zustand der Ruhe und Klarheit, so daß sich alles in mir ordnet und ich tiefere Bezüge durchschaue: Zum Beispiel, was steht hinter den Worten eines Satzes? Ist der Gefühlsinhalt auch wichtig oder ist es bloße Information? Einmal berührt von dieser tieferen Ebene klärt sich vieles von allein - es kann Auswirkungen auf meine Beziehungen und mein Verhalten insgesamt haben.

Eine der Nebenübungen Rudolf Steiners, die immer neben allen Meditationsübungen zu üben ist, ist die Willensübung. Hierbei geht es darum, die freie Willenskraft anzuregen, ohne einen Bezug zu einem zwingenden Sachverhalt, in den der Wille sonst meist eingebunden ist. Diese würden wir üben und die Resultate besprechen. Die Übung schaut leicht aus, erfordert aber unglaubliche Disziplin. Andere Nebenübungen sind die der Positivität, der Ausgewogenheit der Gefühle und der Offenheit allem Neuen gegenüber. Mit diesen Lebenshaltungen läßt sich einfach besser leben. Die eigene Lebenskraft wird nicht ständig abgetragen durch eine überkritische Einstellung voller Besserwissen und Vorurteilen oder emotionalen Hoch- und Tiefs. Alles Themen, die im Jugendalter besonders zentral sind.

In der Meditation probieren wir die verschiedensten Ansätze aus, so daß jeder seinen Einstiegsort finden kann. Durch die Praxis der gemeinsamen Meditation können die Schüler dann hoffentlich etwas von der Beuys'schen Wärmeplastik erleben, die eigentlich immer bei unseren Kursen nach ein paar Tagen zu erleben ist: Ein flutendes Wärmegefühl, Liebe und Interesse für den anderen, Wachheit, ein allgemeines Durchgepustet-Sein. Dieses Ergebnis kommt allein durch die gemeinsame Bemühung um die Steigerung der Konzentration und den anschließenden Erfahrungsaustausch zustande.

Die Alexandertechnik, die ich soweit es geht hineinbringen würde, weil sie direkt mit der Körperhaltung bei der Meditation zu tun hat, ist auch unmittelbar ätherisch wirksam. Als ich einige Jahre Eurythmie an der Oberstufe unterrichtet habe, konnte ich ganz "schwierige Jungs", die jede Eurythmie-Stunde zerstörten, oft nur durch die Alexandertechnik erreichen. Plötzlich saßen sie kerzengerade, ohne sich um die aufrechte Haltung bemühen zu müssen, in einer andächtig staunenden Seelenstimmung.

Das Ziel unserer Epoche ist, die Schüler einmal in ein Erlebnis zu bringen, wo sie vielleicht wieder hinwollen, ein Erlebnis, welches dem Leben Sinn gibt und welches man nicht missen möchte. Auch wenn man eine echte Meditationspraxis erst Jahre später aufgreift oder nie, so gehört diese Erfahrung unseres Erachtens intim zu diesem Lebensalter.

Also, wenn Sie Interesse haben, rufen Sie uns an. Wir kommen gerne zu einer Epoche an Ihre Schule.

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